Warten

Vor kurzem erlebte ich in einem Wartezimmer folgende Situation:

Ein kleines Mädchen, ca. 2 Jahre alt, wartete dort zusammen mit seiner Mutter auf ein Geschwisterkind. Die Kleine vertrieb sich die Zeit mit den dort vorhandenen Spielmaterialien und Bilderbüchern, während die Mutter an ihrem Smartphone spielte.

Immer wieder suchte das Kind zu ihr Kontakt: wollte ihr etwas im Buch zeigen oder sie ins Spiel mit einbeziehen. Die Mutter jedoch konnte sich nicht von ihrem Computerspiel lösen. Sie ignorierte die Initiativen des Mädchens, antwortete höchstens mal kurz und flüchtig, ohne aber den Blick vom Bildschirm zu heben. 

So bekam die Kleine einen "Korb" nach dem anderen, wie ich mitfühlend beobachtete.

Irgendwann verließ ich den Raum für eine Weile. Als ich zurückkam, hatte sich das Bild gewandelt. Mutter und Tochter saßen einträchtig nebeneinander und schauten nun zusammen auf das Handy, wobei die Frau ihr Spiel weiterspielte.

Was war geschehen? Vermutlich war bei dem kleinen Mädchen der Wunsch nach Gemeinsamkeit und Kontakt so groß, dass es sich schließlich auf die Bedürfnisse der Mutter eingestellte und sein eigenes Tun dafür aufgab. Die Kleine hatte vorerst eine Lösung für ihr Problem gefunden, auch wenn es für sie sicherlich nicht die Ideallösung war. Sie wirkte nicht unzufrieden, wie sie so neben ihrer Mutter saß.

Vielleicht habe ich ja eine "Momentaufnahme" erlebt, in der die Frau sich einfach nur mal eine "Auszeit" gegönnt hat.

Aber wie soll ein Kind ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln können, wenn es solche Situationen ständig erlebt: dass sein Tun die Mutter so wenig interessiert, dass sie nicht einmal bereit ist, den Blick vom Bildschirm abzuwenden.

Irgendwann wird es Strategien entwickeln, um Aufmerksamkeit und Zuwendung (welcher Art auch immer) zu erlangen. Diese Strategien

wird man dann wahrscheinlich sehr bald "Verhaltensstörungen" nennen.

 

Aber es gibt auch beglückende Beobachtungen:

Mitten in der Fußgängerzone, im Vorweihnachtstrubel stand eine junge Frau mit einem Kinderwagen vor einem Kaufhaus. Sie schien auf jemanden zu warten. Menschen eilten mit vollen Einkaufstaschen vorbei, es nieselte, und es war kalt. Weder Mutter noch Kind schienen dies zu bemerken, denn sie waren in innigem Kontakt miteinander und die Welt um sich herum gar nicht wahrzunehmen.

Und das sah so aus: Das Baby formte ein "O" mit dem Mund, die Mutter daraufhin auch. Das Baby brabbelte etwas, die Mutter brabbelte zurück. Baby patschte seine Händchen aneinander, die Mutter tat es ihm nach. Dabei schauten sie sich unentwegt an. Der Kontakt zwischen beiden war so intensiv und innig, als wären sie in einer großen Seifenblase geschützt vor der unruhigen Welt um sie herum.

"Wozu soll das gut sein?" könnten Kritiker sagen. "Sie brabbelt albern und klatscht in die Hände."

Aber auf diese Weise diese Weise vermittelt sie ihrem Kind: Das was du tust nehme ich war, ist mir wichtig, Du bist mir wichtig. Was die beiden miteinander tun ist der Beginn von Kommunikation und Interaktion. Das Kind erlebt Beziehung und Kontakt. 

Dadurch, dass die Frau auf die Initiativen des Kindes eingeht, kann es all die verwirrenden und auch vielleicht unangenehmen Außenreize um sich herum ausblenden. Denn es richtet seine volle Aufmerksamkeit auf die Mutter.

Eigentlich ist das, was die Frau tut ganz einfach, aber für das Kind ist es in dieser Situation enorm viel.

 

Stellen wir uns doch einmal vor, wie die gleiche Situation aussähe, wenn die Frau sich genauso verhielte wie unsere erste Mutter:

Dann stünde dort ein kleines Kind im Kinderwagen, von Reizen überflutet völlig beziehungslos in einer geschäftigen, verregneten, kalten Fußgängerzone vor einem Kaufhaus, neben einer Frau, die in ihr Smartphone schaut.

 

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Spaziergang

Weniger ist manchmal mehr

Während ich heute meine beiden Ponys in der Weide fütterte, kam eine junge Frau mit einem Kinderwagen vorbei. Das  knapp einjährige Kind schaute zu den Ponys hinüber, was die Mutter gleich bemerkte. Sie hielt an, posierte den Kinderwagen so, dass das Kind die Ponys gut sehen konnte und teilte mit dem Kind die Blickrichtung. Dabei benannte sie mit einfachen Worten, was ihr Kind sah: "Schau, die Ponys haben Hunger. Sie fressen Heu.  Guck, jetzt geht das Pony trinken, es hat Durst." usw.

 

So funktioniert Spracherwerb, und so lernt ein Kind seine Aufmerksamkeit längere Zeit auf eine Sache zu fokussieren und seine Umwelt zu verstehen.

Die Mutter nahm sich die Zeit und die Ruhe so lange mit dem Kind stehen zu bleiben, bis die Aufmerksamkeit des Kindes für die Ponys nachließ. Während ich diese Situation sah, fiel mir auf, wie selten ich so etwas erlebe. Meistens laufen Eltern schnell mit ihren Kinderwagen vorbei, während sie hektisch in ihr Handy tippen oder telefonieren.

Dass die Frau überhaupt bemerken konnte, dass ihr Kind die Pferde anschaut, lag übrigens daran, dass sie einen heutzutage sehr ungewöhnlichen Kinderwagen vor sich her schob: nämlich ein Modell, bei dem die Blickrichtung des Kindes zur Mutter gewandt war.

Zu meinem großen Bedauern sind die meisten Kinderwagen heute so konstruiert, dass die Eltern und  das Kind überhaupt keinen Blickkontakt haben können, weil das Kind in Gegenrichtung schaut. Im hektischen Trubel der Innenstadt wird das Baby oder Kleinkind durch eine Vielzahl von Reizen geschoben, ohne sich durch Blickkontakt bei der Bezugsperson vergewissern zu können , und ohne dass diese die Möglichkeit hat, die Mimik und die Blickrichtung ihres Kindes  zu sehen.

 

Diese Situation an der Weide ist ein typisches Beispiel dafür, dass weniger manchmal mehr ist. Ein kleines Kind  braucht kein Kinderparadies bei IKEA oder einen Freizeitpark, es braucht einfach Zeit und Muße Alltäglichkeiten wahrzunehmen, zu verarbeiten und eine Bezugsperson, die das Gesehene mit ihm teilt und benennt.

Zum Beispiel: "Da kommt der Bus, da steigen Leute aus, guck, da steigen Leute wieder ein."

 

Die Wichtigkeit dieser Alltäglichkeiten müssen wir , so sehe ich es, wieder mehr schätzen lernen. Ich glaube, dass eine neue Entdeckung der Langsamkeit unseren Kindern sehr gut täte. Sie kostet nichts, allerdings müssen wir uns die Zeit und die Ruhe dafür nehmen. Vielleicht täte das auch uns gut, und wir könnten uns vielleicht sogar den Achtsamkeitskursus bei der Volkshochschule sparen. 

 

 

 

 

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Willkommen auf der Seite von Anna Hagemeyer

Autorin bei Tredition

 

In meinem Buch "Und hätte die Liebe nicht" geht es um das Thema "Bedingungslose Liebe" 

 

 

"Du aber liebe mich, auch wenn ich schmutzig bin, denn wenn ich weiß gewaschen wäre, liebten mich ja alle." Dieses Zitat von Fjodor Dostojewski gibt im Wesentlichen wieder, worum es in diesem Buch geht:

Um die Grunderfahrung bedingungslos geliebt und angenommen zu werden. Das Buch ist ein Plädoyer dafür, sich wieder mehr dem zuzuwenden, was wirklich wichtig ist.

Aus ihrer reichhaltigen Berufserfahrung als Heilpädagogin heraus beschreibt Anna Hagemeyer anhand von mehreren Beispielen, von welch elementarer Bedeutung es für unsere Kinder ist, auch dann unsere Liebe zu spüren, wenn sie gerade keine "Bilderbuchkinder" sind.

 

 


zur Autorin:

Seit vielen Jahren arbeite ich als Heilpädagogin in verschiedenen Berufsfeldern mit  Kindern und Jugendlichen, die alle ihre ganz individuellen Bedürfnisse mitbringen. Aber, ob mit oder ohne Handicap, eines haben sie gemeinsam: Das Bedürfnis nach bedingungsloser Liebe und Annahme.

Meiner Erfahrung nach ist dies die Basis für ein erfülltes, glückliches Leben. Wer über diese Basis verfügt, profitiert davon sein ganzes Leben lang.

privat:

geboren bin ich 1959, bin verheiratet und habe zwei inzwischen erwachsen gewordene Kinder.

Wir leben im Nordwesten Deutschlands am Stadtrand im Grünen, wo Kinder und Tiere Platz zum Spielen und Umhertollen haben.

Mein Anliegen:

 Wenn ich mich so umschaue, beobachte ich sehr viel:

Ich sehe einmal, dass den Bedürfnissen von Kindern heutzutage sehr viel mehr Bedeutung beigemessen wird als früher, was ja zunächst einmal positiv ist. Aber ich erlebe auch, dass dabei manche Eltern, hoch engagiert und wohlmeinend über das Ziel hinaus schießen.

Auch beobachte ich Eltern, die eigentlich gar keine Zeit für ihre Kinder haben, und wenig mit ihnen anzufangen wissen.

Was Kinder wirklich brauchen ist vielen nicht klar.

Den Kindern das zu geben, was sie benötigen, ist manchmal einfacher als man zunächst denkt. Manchmal ist weniger sogar mehr.

 Ich habe diesen Blog gegründet weil ich dadurch vielleicht  ein paar Impulse geben kann, die das Zusammenleben von Kindern und Eltern ein klein wenig befriedigender und glücklicher machen.