Spaziergang

Weniger ist manchmal mehr

Während ich heute meine beiden Ponys in der Weide fütterte, kam eine junge Frau mit einem Kinderwagen vorbei. Das  knapp einjährige Kind schaute zu den Ponys hinüber, was die Mutter gleich bemerkte. Sie hielt an, posierte den Kinderwagen so, dass das Kind die Ponys gut sehen konnte und teilte mit dem Kind die Blickrichtung. Dabei benannte sie mit einfachen Worten, was ihr Kind sah: "Schau, die Ponys haben Hunger. Sie fressen Heu.  Guck, jetzt geht das Pony trinken, es hat Durst." usw.

 

So funktioniert Spracherwerb, und so lernt ein Kind seine Aufmerksamkeit längere Zeit auf eine Sache zu fokussieren und seine Umwelt zu verstehen.

Die Mutter nahm sich die Zeit und die Ruhe so lange mit dem Kind stehen zu bleiben, bis die Aufmerksamkeit des Kindes für die Ponys nachließ. Während ich diese Situation sah, fiel mir auf, wie selten ich so etwas erlebe. Meistens laufen Eltern schnell mit ihren Kinderwagen vorbei, während sie hektisch in ihr Handy tippen oder telefonieren.

Dass die Frau überhaupt bemerken konnte, dass ihr Kind die Pferde anschaut, lag übrigens daran, dass sie einen heutzutage sehr ungewöhnlichen Kinderwagen vor sich her schob: nämlich ein Modell, bei dem die Blickrichtung des Kindes zur Mutter gewandt war.

Zu meinem großen Bedauern sind die meisten Kinderwagen heute so konstruiert, dass die Eltern und  das Kind überhaupt keinen Blickkontakt haben können, weil das Kind in Gegenrichtung schaut. Im hektischen Trubel der Innenstadt wird das Baby oder Kleinkind durch eine Vielzahl von Reizen geschoben, ohne sich durch Blickkontakt bei der Bezugsperson vergewissern zu können , und ohne dass diese die Möglichkeit hat, die Mimik und die Blickrichtung ihres Kindes  zu sehen.

 

Diese Situation an der Weide ist ein typisches Beispiel dafür, dass weniger manchmal mehr ist. Ein kleines Kind  braucht kein Kinderparadies bei IKEA oder einen Freizeitpark, es braucht einfach Zeit und Muße Alltäglichkeiten wahrzunehmen, zu verarbeiten und eine Bezugsperson, die das Gesehene mit ihm teilt und benennt.

Zum Beispiel: "Da kommt der Bus, da steigen Leute aus, guck, da steigen Leute wieder ein."

 

Die Wichtigkeit dieser Alltäglichkeiten müssen wir , so sehe ich es, wieder mehr schätzen lernen. Ich glaube, dass eine neue Entdeckung der Langsamkeit unseren Kindern sehr gut täte. Sie kostet nichts, allerdings müssen wir uns die Zeit und die Ruhe dafür nehmen. Vielleicht täte das auch uns gut, und wir könnten uns vielleicht sogar den Achtsamkeitskursus bei der Volkshochschule sparen. 

 

 

 

 

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